Geschlossene Läden wegen Corona
„Amazon wird Kerngewinner der Ladenschließungen sein“
von Dominik Reintjes
In Deutschland müssen viele Läden und Geschäfte schließen – so will der Bund gegen die Ausbreitung von Corona kämpfen. Der Onlinehandel schließt nicht. Ist er nun der große Profiteur? Das sagen zwei Handelsexperten.
Es wird still werden in Deutschlands Einkaufsstraßen: Nach Italien, Frankreich und Österreich sollen nun auch hierzulande zahlreiche Geschäfte geschlossen werden. Eine Maßnahme, mit der Bund und Länder hoffen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Ausgenommen von der Schließung sind Supermärkte, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen, Poststellen, Gartenbau- und Tierbedarfsmärkte und der Großhandel. Ihnen soll sogar bis auf weiteres erlaubt werden, auch sonntags zu öffnen. Damit sie Bürger ausreichend versorgen können – trotz Covid-19. So zumindest lautet der Beschluss der Bundesregierung und der Regierungschefs der Länder.
Welche Auswirkungen werden die angeordneten Ladenschließungen nun auf den Handel haben – und wer profitiert davon? Ein Gedanke liegt nahe: der Onlinehandel. Denn wer nicht in den Laden kann, der bestellt halt online. Amazon, Otto und Co. werden immerhin nicht geschlossen. „Da sich weniger Konsumenten vor die Tür trauen, profitiert der Onlinehandel. Hier probieren sich die Konsumenten jetzt aus, entdecken kontaktlose und verlässliche Lieferungen“, sagt Jörg Funder, Professor für Unternehmensführung im Handel und Direktor des Instituts für Internationales Handels- und Distributionsmanagement, einem Think-Tank für Handel, Konsumgüter, konsumentennahe Dienstleistungen. „Gewinner sind die Onlinehändler, die das anbieten, was stationäre Händler anbieten, die nun geschlossen werden. Etwa Elektronik oder Haushaltsausstattung“, sagt Funder. „Kerngewinner der Ladenschließungen wird Amazon sein als onlinebasiertes Warenhaus. Das erfüllt jetzt die Funktionen, die (sonst) Fachhändler oder ein stationäre Warenhäuser bieten, die nun aber geschlossen werden.“.
Kai Hudetz, seit August 2009 Geschäftsführer des IFH Köln, ist ähnlicher Ansicht: „Unsicherheit ist immer schlecht für den Konsum. Wir rechnen damit, dass der Konsum insgesamt zurückgeht. Der Onlinehandel funktioniert zumindest länger als der stationäre – wer hier kauft, muss sich nicht vor die Tür trauen. Hier ist der Onlinehandel im Vorteil.“ Allerdings: „Er wird keinen enormen Wachstumssprung machen – davon gehen wir momentan aus“, sagt Hudetz. Die Neigung zum Konsumverzicht sei gerade über die verschiedenen Warengruppen hinweg sehr ausgeprägt: „Etwa im Möbelgeschäft wird es drastische Rückgänge geben. Bei bestimmten Produkten wie Büchern oder Ersatzkäufen dürfte der Onlinehandel stark profitieren: Etwa, wenn das Notebook kaputt ist.“
Zwar überschlagen sich die Meldungen über das Coronavirus Tag für Tag. Doch „irgendwann wird diese Krise vorbei sein – dann können sich langfristige Verschiebungen zeigen: Kundinnen und Kunden, die jetzt Gefallen am Onlinehandel finden, werden womöglich auch langfristig ihr Konsumverhalten ändern.“ Auch Jörg Funder geht von langfristigen Verschiebungen aus: Das Verhalten, das die Kunden online derzeit lernen, „wird auch über die Krise hinaus Bestand haben – davon gehen wir aus.“
Gerade der Online-Lebensmittelhandel macht bei der Angst der Konsumenten vor leergehamsterten Regalen im Supermarkt derzeit gute Geschäfte. Allerdings: „Der Online-Lebensmittelhandel wird eine Nische bleiben, die steigenden Nutzerzahlen in Zeiten der Krise sind nicht der Dammbruch“, schätzt Funder. Doch was passiert bei den übrigen Onlinehändlern, wenn die Nachfrage bei der Angst vor dem Coronavirus und dem extrem verringerten Angebot in den Städten nun stark steigt? „Die großen Onlinehändler wie Amazon könnten die Nachfrage mit ihren riesigen und teilweise automatisierten Logistikzentren gut abfangen. Vielleicht ohne Lieferungen innerhalb eines Tages, aber eine große Herausforderung sollte das nicht darstellen“, sagt Funder.
Funder geht sogar noch weiter: Womöglich würden manche Onlinehändler ihre Geschäftsmodelle nun anpassen und den Sprung über die Profitabilitätsgrenze schaffen. Sie könnten etwa höhere Preise für die Lieferung oder eine Retoure verlangen. Denn „die Kunden brauchen jetzt manche Produkte so dringend, dass der Preis nicht die Hauptrolle spielt. Die zusätzlichen Erträge könnten die massiven Kosten von kostenlosen Retouren oder extrem schnellen Lieferungen kompensieren.“
Damit könne allerdings auch ein massiver Vertrauensverlust einhergehen, „wenn Konsumenten dies als ein Ausnutzen der kritischen Lage durch die Händler bewerten“, sagt Funder. Er gehe nicht davon aus, dass Händler wie Amazon zu dieser Methode greifen würden: „Dafür beruht ihr Erfolg zu sehr auf Kundenvertrauen. Das käme eher für kleinere Händler infrage.“
Händler wie Amazon mögen also von den Ladenschließungen profitieren. Doch selbstredend bringen sie andere Händler in massive Schwierigkeiten: „Heute Morgen habe ich mit einem Händler gesprochen, der derzeit einen Umsatzrückgang von 80 Prozent verzeichnen muss – und das jeden Tag“, erzählt Funder. Und jetzt kommen die Ladenschließungen für die stationären Einzelhändler noch hinzu. Bei ihnen „laufen die Kosten wie Gehälter, Mieten, Versicherungen weiter und können nicht durch Einnahmen kompensiert werden“, erklärt Funder. Gerade mittelständische Einzelhändler hätten häufig keine Liquiditätsreserven und seien nun „von einem drastischen Kahlschlag bedroht“ – trotz möglicher Entschädigungen durch den Staat. „Sollten die Geschäfte in einem Monat wieder öffnen und alles wieder seinen gewohnten Gang gehen, dann gehen wir davon aus, dass der Umsatz, der während der Schließungen verloren geht, nicht wieder reingeholt werden kann“, warnt Funder.
IFH-Geschäftsführer Hudetz sieht das so: „Der stationäre Handel verliert doppelt: durch den geringeren Konsum und dann nochmal durch die Ladenschließungen. Aber: Der erste Schnitt – die geringere Nachfrage – schmerzt bei den meisten Händlern am meisten.“ Doch neben Onlinehändlern wie Amazon könnten auch im stationären Handel Unternehmen profitieren. Denn „auch in der Krise kann es Gewinner geben“, sagt Hudetz: „Etwa Tankstellenshops, die mit Sortimentsumstellungen