Innovationsradar Handel
März 2015
- Die Handelslandschaft steht vor wenigen, aber grundlegenden Innovationen, die getrieben durch Technologie sowie ein sich veränderndes Konsumentenverhalten und -bedürfnisse, zu einer Transformation etablierter Wettbewerbslogiken führen.
- Innovationen im Handel beruhen dabei in den seltensten Fällen auf wissenschaftlichen oder technischen Neuerungen im Produkt, sondern vielmehr auf der Umverteilung und veränderten Nutzung vorhandener Ressourcen, das heißt der Veränderung von Services, Prozessen und letztlich Geschäftsmodellen.
- Vier Archetypen von Innovationen leiten eine neue Ära des Handels ein: (1) Innovationen im Paradigma, (2) Innovationen des Produkt- und Leistungsspektrums, (3) Positionsinnovationen und (4) Prozessinnovationen.
- Langfristig werden nur diejenigen Handelsunternehmen erfolgreich sein, die sich und ihr Geschäftsmodell stetig neu erfinden. Alt-‘bewährte‘ Händler, die sich weiterhin nur auf Möglichkeiten der Effizienzsteigerung konzentrieren, werden dem Wettbewerb kaum noch standhalten können
- Es bedarf der Entwicklung von Innovationsroutinen, die im Wesentlichen auf fünf Bausteinen basieren: (1) Innovationen frühzeitig erkennen und ergreifen, (2) Strategie wiederentdecken, (3) ein Innovationsportfolio aufbauen und proaktiv managen, (4) Urteilsvermögen schärfen und differenziert entscheiden und letztendlich (5) kontinuierlich lernen.
Im internationalen Vergleich mit den USA und UK hinken deutsche Handelsunternehmen bei der Adaption von Innovationen meist drei bis fünf Jahre hinterher. So werden Innovationen erst mit großer Zeitverzögerung umgesetzt oder es kommt gar zum Scheitern. In der Praxis lassen sich dafür insbesondere hausgemachte Ursachen beobachten.
Hausgemachte Probleme behindern Innovationen
Deutsche Handelsunternehmen fokussieren sich allzu oft auf operative Exzellenz anstatt auf eine zukunftsweisende Strategie. Innovationen spiegeln sich dabei fast ausschließlich in kurzfristig angelegten Prozessoptimierungen wider, bei denen es um reine Effizienzsteigerungen geht und nicht um langfristige Entwicklungen. Innovations-Portfolios hingegen werden meist nur unzureichend gemanagt. Dies kann letztlich zum Scheitern der gesamten Projektlandschaft führen. Darüber hinaus beurteilt der hiesige Handel Initiativen in vielen Fällen undifferenziert. So werden ‘Big Ideas’ häufig nicht wahrgenommen oder als nicht relevant eingeschätzt. Dabei sind gerade diese Denkweisen ‘das betrifft uns nicht’, ‘unsere Kunden wollen das nicht’ oder ‘das haben wir noch nie gemacht’ Legitimation für das bewusste Auslassen von Innovationen. Zudem wird häufig der sukzessive Wissens- und Kompetenzaufbau vernachlässigt, was insbesondere in Zeiten stetigen Wandels die Grundlage für die Schaffung immer wieder neuer Wettbewerbsvorteile und damit Zeitvorsprünge darstellt. Es geht dabei vor allem um das Erkennen relevanter, meist schwacher Signale, die starken Signalen, zum Beispiel abgeleitet aus finanzbasierten Kennzahlen, typischerweise vorausgehen.
Wenige, aber grundlegende Innovationen bestimmen die Handelslandschaft der Zukunft
Der Innovationsradar zeigt, dass die Handelslandschaft in nächster Zukunft von wenigen, jedoch grundlegenden Trends und Entwicklungen geprägt werden wird, auf die es sich einzustellen gilt.
(1) Cross-Channel-Handel mit mehreren Touchpoints als Teil einer Marke gewinnt an Bedeutung. Der Fokus dieser Innovation liegt auf der integrierten Datengewinnung und -konsolidierung, die den Wegbereiter einer zunehmenden Digitalisierung des Handels darstellt.
(2) ‘Advanced Analytics’ hält Einzug in den Handel. Analysemethoden bieten die Möglichkeit, wieder näher an den Kunden heranzurücken, um somit dessen Anforderungen besser verstehen und erfüllen zu können. Deren Einführung erfordert jedoch auch weitreichende Veränderungen der Management- und Organisationsstrukturen, der IT-Infrastruktur sowie etablierter Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe.
(3) Merchandising wird zur Wissenschaft. Vor dem Hintergrund der wachsenden Relevanz von Warenbeständen als Investment der Handelsunternehmen, steigender Risiken durch hohe Altwarenbestände und Ladenhüter und den Folgen hoher Retourenquoten, gewinnt das Thema Merchandising besonders im Textilhandel an Bedeutung. Technologische und wissenschaftliche Neuerungen von Systemen und Modellen der Warenplanung und -disposition bieten hohe Optimierungspotenziale.
(4) ‘Mobile Commerce’ stärkt die Bedeutung der Filiale als zentraler Touchpoint. Insbesondere das Smartphone spielt dabei eine wichtige Rolle. Es verbindet beide Welten miteinander (zum Beispiel durch QR-Codes oder Near Field Communication (NFC)) und steigert so das Kundenerlebnis. Gleichzeitig wird die Filiale zum dezentralen Warenlager und Distributionszentrum, in dem der Kunde online bestellte Ware abholen kann. So wird ein wesentlicher Vorteil der Filiale ausgespielt – der direkte Erhalt der Ware.
(5) Geschwindigkeit wird zum neuen Paradigma. Die Halbwertszeit von Innovationen und Wettbewerbsvorteilen nimmt ständig ab. Schnelligkeit wird zur Grundlage der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. So forciert zum Beispiel der Kundenwunsch nach sofortigem Erhalt der Ware die fortwährende Optimierung der Lieferzeiten im Online-Handel. Mit ‘Anticipatory Shipping’ arbeitet Amazon beispielsweise an einer innovativen Idee, Ware bereits zu versenden, bevor der Kunde diese tatsächlich bestellt hat.
Vieles von dem, was heute noch nach Science Fiction klingt, wird schon bald zur Realität. Bei der Adaption dieser Neuerungen werden sich zur Innovation bereite Händler schnell von ihren Konkurrenten absetzen. Dabei wird sich ein neues Bild des deutschen Handels ergeben: Die Kluft zwischen innovationsfähigen Handelsunternehmen, die ihren Wettbewerbern einen Schritt voraus sind, und altbewährten Händlern, die sich im Kampf um immer niedrigere Margen rein auf Effizienzsteigerungen und Prozessoptimierungen konzentrieren, wird in der Folge immer größer – die Chance, vor allem für letztere, im Wettbewerb langfristig zu bestehen, hingegen immer geringer.
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