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‘Stores 2.0’: Ist die Filiale noch das Herzstück des Handel(n)s?

Mai 2013


Key Insights
  • Der traditionelle Handel verliert die Filiale als Herzstück zunehmend aus dem Fokus.
  • Während Online-Käufe geplante Käufe darstellen, bildet das Einkaufserlebnis, die Customer Experience, weiterhin den wichtigsten Faktor für Kaufentscheidungen im stationären Handel.
  • Online-Pure-Player haben die Bedeutung einer Filiale für sich erkannt und dringen nun geschickt in die entstandene Lücke eines attraktiven und erlebnisorientierten stationären Handels vor.
  • Die Filiale als Erlebniswelt stellt noch größere Anforderungen an eine Vernetzung mit den anderen Kanälen und damit an ‘echtes’ Cross-Channel.
  • Der Store 2.0 wird zum Identifikationsobjekt und bildet somit den zentralen Anlaufpunkt, um mit der Marke in Kontakt zu treten und die Produktwelt zu erleben.
  • Mit dem Store 2.0 geht auch ein Paradigmenwechsel im Verkauf und Kundenservice einher. Auf die Filialteams kommen zukünftig bedeutungsvollere und zentralere Aufgaben zu.

‘Die Zukunft des Handels liegt im Ecommerce!’ So schallt es zunehmend durch die deutsche Handelslandschaft. Stetig und rapide wachsende Online-Umsätze werden aufgezeigt und in die Zukunft projiziert, um die Bedeutung des Online- sowie Multi-Channel-Handels hervorzuheben. Ecommerce Umsätze stiegen in der Zeit zwischen 2006 und 2012 um 176 Prozent, während die Umsätze im Versandhandel um 28 Prozent fielen. Zumeist werden diese Nachrichten von Online-, Lösungs- oder Dienstleistungsanbietern gestreut und dabei allzu gerne vernachlässigt, dass dieses propagierte Wachstum nach wie vor von einer kleinen Basis ausgeht. Lediglich 9,2 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes wurde 2012 im nicht-stationären Einzelhandel erzielt.

Irrglauben über die Bedeutung von Online-Umsatzpotenzialen – Dem Handel werden falsche Wachstumspfade und Prioritäten suggeriert

Durch die Omnipräsenz des Themas wird stationären Händlern ein Muss suggeriert, möglichst alle Vertriebskanäle abzudecken, um im Wettbewerb nicht das Nachsehen zu haben. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass der Zwang nach bedingungslosem Online- beziehungsweise Multi-Channel-Handel unbedingt relativiert werden muss. Die Umsätze des stationären Handels entwickelten sich in den letzten sechs Jahren nahezu stabil (-0,4 Prozent). Und so ist die zukünftige Entwicklung von online Umsätzen weitaus entscheidender als deren historische Entwicklung. Dabei hilft das progressive oder lineare Fortschreiben bisheriger Wachstumsraten wenig, lässt es doch Sättigungseffekte oder kategorienspezifisches Kundenverhalten außer Acht. Bis 2020 wird sich der Online-Anteil am Gesamtumsatz des Einzelhandels bei circa 15 bis 20 Prozent einpendeln. Hierbei sind jedoch Segmentspezifika von Bedeutung. Während im Buchhandel heute bereits 40 Prozent der Umsätze online erwirtschaftet werden, hat im deutschen Lebensmitteleinzelhandel der Online-Kanal nahezu keine Relevanz. Im Textilhandel sowie dem Handel mit Unterhaltungselektronik (Consumer Electronics) liegt der Online-Umsatzanteil bereits heute bei 20 Prozent. In diesen Segmenten erwarten wir einen Online-Umsatzanteil von rund 30 Prozent der gesamten Kategorie-Umsätze.

‘Priority Shift’ als Antwort des Handels – Der Handel folgt dem allgegenwärtigen Tenor und verliert die Filiale aus dem Blickfeld

Um das suggerierte Wachstumspotenzial zu erschließen, folgen Handelsunternehmen dem seit Jahren von ‘Apokalyptikern des stationären Handels’ suggerierten Trend – der bedingungslosen Präsenz auf allen Kanälen, vollintegriert versteht sich. Handelsmanager richten ihr Augenmerk dabei zumindest vordergründig auf die gepriesenen Wachstumspfade und verlieren dabei allzu oft ihre eigene Identität und individuelle Stärken aus dem Blickfeld. Die Filiale geht dabei als großer Verlierer hervor, denn der traditionelle Handel verliert die Filiale als Herzstück zunehmend aus dem Fokus. Sie wird vielmehr als reiner Kostenfaktor betrachtet und deren Neuausrichtung hinsichtlich Werteversprechen, adäquaten Filialformaten, der Informationsanbindung sowie der Investition in die Qualität der Mitarbeiter vernachlässigt.

‘Store 2.0‘ – Filialen erfinden sich neu

Nicht nur der Wert, den einstige Pure-Player einer Filiale zumessen, sondern vielmehr die Rolle, die die Filiale für sie verkörpert, ist herauszustellen. Sie unterscheidet sich signifikant von dem, was der traditionelle Handel in der Filiale sieht. In einer online dominierten Handelslandschaft stellt die Filiale für den traditionellen Handel primär ein Kostenfaktor dar. Sie nimmt dabei die Rolle als Lagerraum und dezentralem Transaktionspunkt ein, an dem der Kaufprozess abgewickelt und vollzogen wird.

Im Gegenzug sehen die einstigen Pure-Player des Online-Handels mit ihrer einsetzenden Filialisierung eine Möglichkeit, sich und ihre Marke zu inszenieren. Was online bisher nur schwer möglich war, wird jetzt in die Tat umgesetzt. Marke und Produkte können erlebt, gefühlt, angefasst werden; Kunden werden behutsam an das eigene Produkt herangeführt. Die Filiale wird zum Showroom – zum Ausstellungsraum – und zum Identifikationsobjekt und bildet somit den zentralen Anlaufpunkt, um mit der Marke in Kontakt zu treten und die Produktwelt zu erleben.

Was gilt es zu tun? – ‘Customer Experience’ als Maßgabe erfolgreicher Filialausrichtung

Um im Kampf gegen die ehemaligen Puristen bestehen zu können, muss sich der traditionelle Handel einem bewusst werden: Internetkäufe sind geplante Käufe, im stationären Handel wird spontan gekauft! Daraus ergibt sich das Einkaufserlebnis, die Customer Experience, als wichtigster Faktor für Kaufentscheidungen im stationären Handel. Die Warenpräsentation, ein hochwertiges und ansprechendes (Marken-) Umfeld, Auswahl, direkte Mitnahme von Waren und natürlich eine ausgezeichnete Beratung sind dabei entscheidende Merkmale. Für den traditionellen Handel gilt hierbei, seine eigene Stärke – die Filial- und Servicekompetenz – ‘wieder zu entdecken’. Erfindungsgeist und Innovationskraft sind notwendig, um die Filialen als Erlebnisfaktor neu zu etablieren. Drei Punkte gilt es dabei zu beachten.

(1) Informationsflüsse zur Steuerung des ‘Customer Path of Purchase’. Die Filiale als Erlebniswelt stellt jedoch noch größere Anforderungen an eine Vernetzung mit den anderen Kanälen und damit an ‘echtes’ Cross-Channel. Genau an diesem Punkt hat der traditionelle Handel jedoch großen Nachholbedarf.

(2) Technik birgt erhebliches, bisher ungenutztes, Potenzial. Auch hinsichtlich der Nutzung von technischen Möglichkeiten zur Aufzeichnung und Analyse des Konsumentenverhaltens im stationären Handel, aber auch zur direkten Steigerung des Einkaufserlebnisses, zeigt sich der traditionelle Handel in Deutschland verhalten. Weder Informations-Terminals, noch elektronische ‘Shelf Labels’, die in den USA und Großbritannien bereits seit längerer Zeit proaktiv genutzt werden, kommen hierzulande Einsatz. Auch von Near Field Communication (NFC) und Quick Response (QR) Codes macht der deutsche Handel bisher kaum Gebrauch.

(3) Die Rolle der Filialteams ändert sich. Mit dem Store 2.0 geht auch ein Paradigmenwechsel im Verkauf und Kundenservice einher. Auf die Filialteams kommen zukünftig bedeutungsvollere und zentralere Aufgaben zu. Ganzheitliche Beratung und die Funktion als zentraler Ansprechpartner für den Kunden rücken künftig noch stärker in den Fokus. So werden die Mitarbeiter zum Produkttrainer. Auch in den Filialteams steckt dabei wesentlich mehr Potenzial als der traditionelle Handel bisher ahnt und vor allem für sich nutzt. Die Mitarbeiter verfügen über weitreichendes Know-how, Qualifikationen, Ideen. Sie verstehen die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden und besitzen eine außergewöhnliche Problemlösungskompetenz. Für das erfolgreiche Handelsunternehmen von morgen gilt es, sich dieses Wissen und die Fähigkeiten zunutze zu machen.

 

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Schlagworte:

Brick-and-Mortar, Customer Experience, Customer Path of Purchase, Handel, Innenstadt, Point of Experience, Report, Retail, Sales, Stores & Store Formats

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